Als der Mensch zum Alpha-Tier wurde - Antrittsvorlesung von Prof. Rebekka Hufendiek
Wann und wo wird es problematisch, wenn Wissenschaft und Werte nicht voneinander getrennt werden – und lässt sich dazwischen überhaupt eine scharfe Linie ziehen? Um „Naturwissenschaft und Ideologie“ ging es am Freitag, 30. Juni, in der Antrittsvorlesung von Professorin Rebekka Hufendiek. Die Philosophin leitet seit Anfang des Jahres das Humboldt Zentrum für Philosophie und Geisteswissenschaften der Universität Ulm. In ihrem gut besuchten Vortrag sezierte sie das Narrativ vom Alpha-Mann und zeigte, welchen Anteil an dessen Verbreitung das 1982 erschienene, populärwissenschaftliche Sachbuch „Chimpanzee Politics. Power and Sex Among Apes“ des niederländischen Verhaltensforschers Frans de Waal daran hatte
Das Buch, das auf der jahrelangen Beobachtung einer
Gruppe Schimpansen in einem Zoo basiert, gilt als Klassiker der
Verhaltensforschung. Erstmals wurde darin die Komplexität des Sozialverhaltens
der Tiere sichtbar gemacht. An einigen Stellen, kritisierte Hufendiek, zieht de
Waal explizit Schlüsse vom Schimpansen auf den Menschen, ohne, dass empirische
Beobachtungen zugrunde lagen. Sein Kassenschlager habe maßgeblich dazu
beigetragen, dass der Begriff des Alpha-Tieres, also des Leittieres einer
Gruppe, überhaupt erst auf den Menschen übertragen wurde. Das sei
problematisch: Denn mit Verweis auf Rangordnungs-Begriffe aus der
Verhaltensforschung werde „fälschlich Wissenschaftlichkeit in Anspruch
genommen, um hierarchische gesellschaftliche Strukturen als naturgegeben und
damit unveränderlich darzustellen“, sagte Hufendiek. Ideologische
Überzeugungen bekämen damit eine gesellschaftliche Funktion bei der
Legitimation von Herrschaft.
Dass de Waal mit seinen Behauptungen Herrschaft
legitimieren wolle, unterstellt Hufendiek nicht – wohl aber, „dass er ein
spannendes Buch mit Potenzial zum Verkaufsschlager“ habe schreiben wollen.
„Mir scheint, dass man ein zu enges Verständnis von Ideologie hat, wenn man
denkt, sie käme nur dort vor, wo Menschen mit finsterer Absicht verzerrte
Hypothesen formulieren.“ De Waal habe für sein Buch seine Autorität als
Wissenschaftler genutzt und damit mit Blick auf den Menschen „ein Stereotyp
in die Welt gesetzt, das seither ein reges Eigenleben führt“. Vage vermittle
er, bei der Schimpansen-Beobachtung auf menschliche Universalien gestoßen zu
sein – ohne dafür Belege zu liefern.
Die Philosophin Hufendiek fordert deshalb in der
Wissenschaft mehr Reflexion der eigenen Vorannahmen. „Hier hängt am Ende
viel am Umgang der einzelnen Person mit ihrer eigenen Forschung und Haltung,
die offen bleiben muss für Kritik“, so die 42-Jährige. Karl Poppers
Kriterium der Falsifizierbarkeit sei immer noch ein guter erster Ratgeber, ob
man sich im Bereich wissenschaftlich seriöser Aussagen bewege.
An de Waal sehe man, wie pseudowissenschaftliche Behauptungen in seinem Buch mit der Vermarktung des selbigen zusammenfielen. „Das hat ihm aber nicht Scham und Schande, sondern Ruhm und Popularität über die Fachgrenzen hinaus eingebracht.“ Die Frage sei, wo Publikationsstandards falsche Reize setzen – und unter welchen Umständen lautere und deutlichere Kritik aus dem eigenen Fach angebracht sei, um ein Abdriften in die Pseudowissenschaft aufzuzeigen. Mit diesen Fragen will sich Prof. Rebekka Hufendiek in den nächsten Jahren in Forschung und Lehre weiter beschäftigen, denn: „Da, wo es schwierig wird, solide Wissenschaft von wertbehafteten Vorannahmen oder gar von Ideologie zu trennen, ist die philosophische Auseinandersetzung mit Wissenschaft besonders interessant.“
Auch Professor Michael Weber, Präsident der Universität Ulm, hatte in seiner Begrüßung betont: „Wir tragen in der Wissenschaft die Verantwortung für das, was wir tun und wie wir es tun und geben unsere Werte an den Nachwuchs weiter.“ Und Professor Joachim Ankerhold, Vizepräsident für Forschung, sagte, das Humboldt Zentrum stehe dafür, über Wissenschaftsgrenzen hinweg zusammenzukommen: „Philosophie ist wichtig – und auch, dass sie sich in den öffentlichen Diskurs einmischt.“
Universität Ulm
Professorin Rebekka Hufendiek beschäftigt sich in ihrer Antrittsvorlesung mit der Grauzone zwischen Wissenschaft und Ideologie
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